EU-Patentreform: Die Kostenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 739/17 (EPGÜ I) – eine schier unendliche Geschichte (Veröffentlicht am 21.11.2023, zuletzt aktualisiert am 25.07.2024)


I. Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 739/17 und die Pflicht der Kostenerstattung

Bekanntermaßen hat das BVerfG der hiesigen Verfassungsbeschwerde vom 31.03.2017 mit Beschluss vom 13.02.2020 stattgegeben und die erste deutsche Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht („EPGÜ“) für nichtig erklärt. Dabei hatte es die BR Deutschland verpflichtet, dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen sowohl im Verfassungsbeschwerdeverfahren als auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Wie berichtet (vgl. die Updates ab dem 12.02.2021), hatte das Gericht dabei den für die Gebührenberechnung maßgeblichen Gegenstandswert ungewöhnlich niedrig festgesetzt, nämlich auf EUR 250.000,00 in der Hauptsache und auf EUR 125.000,00 im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Schon für diese Festsetzung – die im Verfassungsbeschwerdeverfahren anders als sonst nicht von Amts wegen erfolgt, sondern einen Antrag des Kostengläubigers erfordert – hatte das Gericht rund acht Monate benötigt. Auf der Grundlage dieser Gegenstandswerte belief sich der gesamte Kostenerstattungsanspruch des Beschwerdeführers auf EUR 6.145,60 zzgl. Auslagen. Für ein über rund drei Jahre laufendes Verfahren in einer Angelegenheit von – nicht zuletzt nach den stetigen Angaben der Bundesregierung – zentraler Bedeutung für die europäische Wirtschaft mit einem Aktenumfang von mehreren tausend Seiten ein vergleichsweise geringer Betrag.

II. Das Verfahren zur Kostenfestsetzung

Zur Erläuterung für die nicht-anwaltlichen Leser sei angemerkt, dass es zur Erstattung dieses Betrages zunächst eines sog. Kostenfestsetzungsantrags an das Gericht und eines entsprechenden Kostenfestsetzungsbeschlusses durch dieses bedarf. Solange dieser Beschluss nicht ergangen ist, besteht keine durchsetzbare Zahlungspflicht des Kostenschuldners. Üblicherweise ergeht ein entsprechender gerichtlicher Kostenfestsetzungsbeschluss nach Anhörung des Kostenschuldners innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Einreichung des Antrags. Nicht jedoch beim BVerfG im Verfahren 2 BvR 739/17.

III. Die Kostenfestsetzung im Verfahren 2 BvR 739/17

Die entsprechenden Kostenfestsetzungsanträge wurden Ende November 2020 beim BVerfG eingereicht. Da das BVerfG seine Akten nicht versendet und die Gerichtsakte nach dessen Mitteilung Anfang November 2017 ungefähr den doppelten Umfang der vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen hatte, ohne dass es zu weiteren Auskünften bereit war, war letzterer zum Zweck der Akteneinsicht nach Karlsruhe gereist. Eine weitere Reise dorthin zum Zweck der Akteneinsicht erfolgte, nachdem er bis Anfang Februar 2018 weder die – am 31.12.2017 fälligen – Stellungnahmen Dritter erhalten hatte, noch das Gericht dazu bereit war, ihm eine telefonische Auskunft über die Anzahl der eingegangenen Stellungnahmen zu erteilen. Im Rahmen der Kostenfestsetzung war u.a. die Erstattung der hierfür jeweils angefallenen Reisekosten beantragt worden.

Die Bundesregierung, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, erkannte die angemeldeten Beträge fast vollständig an, lediglich die Erstattungsfähigkeit von Reise- und Kopierkosten im Umfang von rund EUR 900,00 wurde bestritten.

Gleichwohl geschah über mehrere Jahre – nichts. Ungeachtet mehrerer Sachstandsanfragen und Verzögerungsrügen des Beschwerdeführers blieb der Antrag unbearbeitet. Im August 2022 willigte die Bundesregierung gar in die freiwillige Zahlung des unstreitigen Betrages ein und wies diesen an.

Den Kostenfestsetzungsbeschluss erließ die zuständige Rechtspflegerin beim BVerfG erst am 10.05.2023, rund zweieinhalb Jahre nach Einreichung des entsprechenden Antrags. Bemerkenswerterweise verweigerte dieser Beschluss die Erstattung jeglicher Auslagen jenseits der Auslagenpauschale von EUR 20,00, die Begründung ist ebenso erstaunlich wie lesenswert.

IV. Die teilweise Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses durch Senatsentscheidung vom 28.09.2023

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hob das Gericht den Kostenfestsetzungsbeschluss auf, soweit er die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten ablehnte und verwies die Angelegenheit insoweit zur erneuten Entscheidung an die Rechtspflegerin zurück. Die grundlegende Bedeutung der Entscheidung kommt schon darin zum Ausdruck, dass sie durch alle acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats erging.

Die Rechtspflegerin müsste nun eigentlich nur noch die Erstattungsfähigkeit auch der besagten, vom Zweiten Senat als erstattungsfähig bestätigten Reisekosten aussprechen; getan hat sie dies bislang jedoch nicht. Dementsprechend ist die Kostenerstattung im Verfahren 2 BvR 739/17 auch mehr als drei Jahre nach Ende des entsprechenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens nicht abgeschlossen. Damit dauert das Kostenfestsetzungsverfahren inzwischen länger als das Verfassungsbeschwerdeverfahren selbst.

 

Erste Ergänzung
(veröffentlicht am 15.12.2023):

V. Erneute Anfrage der Rechtspflegerin an das BMJ im Oktober 2023

Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt ein Schreiben der Rechtspflegerin aus dem Oktober 2023 übermittelt, in dem diese dem – nunmehr unter neuem Namen firmierenden – Bundesministerium der Justiz („BMJ“), das vorliegend die Bundesregierung vertritt, ihre Absicht mitteilt, die vom BVerfG in seiner Beschwerdeentscheidung bereits für erstattungsfähig befundenen weiteren Kosten antragsgemäß festzusetzen und dem Ministerium hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme einräumt.

Schon dies ist ein etwas merkwürdiges Vorgehen, wenn man berücksichtigt, dass das Gericht die Erstattungsfähigkeit bereits bestätigt hat, die in Rede stehenden Beiträge, die vollständig belegt wurden bzw. sich ohnehin aus dem Gesetz ergeben, aus dem Kostenfestsetzungsantrag ersichtlich sind und ohnehin nie streitig waren. Dementsprechend teilte das BMJ der Rechtspflegerin binnen einer Woche mit, von einer Stellungnahme abzusehen. Gleichwohl konnte sich die Rechtspflegerin – aus unbekanntem Grund – bislang noch immer nicht dazu durchringen, auch die weiteren Kosten gegen die BR Deutschland festzusetzen.

Man darf gespannt sein, wann die Angelegenheit auch kostenmäßig ihren Abschluss finden wird.

 

Zweite Ergänzung
(veröffentlicht am 25.07.2024):

VI.   Der Kostenfestsetzungsantrag II

Lässt sich das Kostenfestsetzungsverfahren bis hierhin jedenfalls als sehr ungewöhnlich bezeichnen, wurde es im Anschluss geradezu abenteuerlich.

Gestützt auf den vorgenannten Senatsbeschluss vom 28.09.2023 und die dort festgestellte Erstattungsfähigkeit aller im Zusammenhang mit einer Akteneinsicht entstehenden Auslagen hatte der Beschwerdeführer Ende Oktober 2023 einen weiteren – eigenständigen – Kostenfestsetzungsantrag („KfA II“) eingereicht, mit dem die Erstattung bis dahin noch nicht geltend gemachter Auslagen, betreffend Kopien und Taxikosten vor Ort an den beiden Tagen der Akteneinsicht beim BVerfG, beansprucht wurde.

Für den nicht-anwaltlichen Leser sei an dieser Stelle angemerkt, dass es gängige Praxis der Gerichte ist (zumindest der hier bislang bekannt gewordenen), über jeden Kostenfestsetzungsantrag in einem eigenen Kostenfestsetzungsbeschluss zu entscheiden. Dies führt nicht selten dazu, dass die Kostenerstattung in einem gerichtlichen Verfahren aufgrund mehrerer Kostenfestsetzungsbeschlüsse erfolgt, die beim Kostenschuldner auch separat zu liquidieren sind.

Während eine Entscheidung über den ersten Kostenfestsetzungsantrag unverändert auf sich warten ließ, leitete das BVerfG nun zunächst den KfA II des Beschwerdeführers dem BMJ zur Stellungnahme zu; den Beschwerdeführer informierte es hierüber nicht einmal. Das BMJ reichte seine Stellungnahme Ende November 2023 ein.

VII.   Der „Kostenfestsetzungsbeschluss II“ des BVerfG

Am 06.02.2024, rund vier Jahre nach der Sachentscheidung vom 13.02.2020 und rund drei Jahre und zwei Monate nach Einreichung des ersten Kostenfestsetzungsantrags im November 2020, wurde dem Beschwerdeführer dann der zweite Kostenfestsetzungsbeschluss des BVerfG vom 25.01.2024 („KfB II“) zugestellt. Dieser verquickte in merkwürdiger Manier die ausstehende Entscheidung des Gerichts über den noch offenen Rest des ersten Kostenfestsetzungsantrags mit derjenigen über den KfA II zu einer Gesamtentscheidung, in der nun alle vom Beschwerdeführer beanspruchten Auslagen für erstattungsfähig befunden und antragsgemäß gegen die BR Deutschland festgesetzt wurden.

Schon die Unübersichtlichkeit der Entscheidung zeigt, weshalb die vorstehend beschriebene Praxis der Instanzgerichte, über verschiedene Kostenfestsetzungsanträge auch in verschiedenen Kostenfestsetzungsbeschlüssen zu befinden, überaus sinnvoll ist. So verwunderte es nicht, dass auch der KfB II fehlerhaft war: Er bestimmte falsche Verzinsungszeiträume für die Forderung, was angesichts der mehrjährigen Dauer des Kostenfestsetzungsverfahrens durchaus einen Unterschied macht. Zur Korrektur des Fehlers musste auch dieser Beschluss wiederum angefochten werden, was umgehend erfolgte.

VIII.   Der „Kostenfestsetzungsbeschluss II“ 2.0 des BVerfG

Es dauerte anschließend weitere fast fünf Monate, bis das BVerfG den Fehler korrigierte und dem Beschwerdeführer am 01.07.2024 den entsprechend geänderten „Kostenfestsetzungsbeschluss II“ vom 19.06.2024 zustellte. Dieser gab nun keinen Anlass zur Beanstandung mehr.

IX.   Bewertung

Es bleibt der Eindruck eines hochgradig merkwürdigen Verfahrens, das selbst beim BVerfG seinesgleichen sucht. Zumindest in den von ihm veröffentlichten Entscheidungen findet sich kein weiterer Fall, in dem die Kostenfestsetzung auch nur annähernd ähnlich lange gedauert hat und für den Kostengläubiger ähnlich dornenreich war wie im Verfahren 2 BvR 739/17. Es gibt aber nicht wenige, in denen es wesentlich schneller ging (z. B. die Verfahren 2 BvR 2506/16 [rund fünf Monate nach der Sachentscheidung] oder 2 BvR 1494/16 [rund sechs Monate nach der Sachentscheidung]).

Die Eigenartigkeiten beginnen bei dem Umstand, dass bereits die Festsetzung des Gegenstandswertes rund acht Monate benötigte und dieser auch nur rund ein Viertel des in thematisch vergleichbaren Verfahren regelmäßig bestimmten Betrages ausmacht. Sie setzen sich fort in der ursprünglichen Ablehnung der Erstattung aller vom Beschwerdeführer geltend gemachten Auslagen jenseits der gesetzlichen Auslagenpauschale von EUR 20,– seitens des Gerichts, wovon dieses im Rahmen der Beschwerdeverfahren letztlich fast vollständig abrückte. Nicht zuletzt spricht natürlich die Gesamtdauer des Kostenfestsetzungsverfahrens von insgesamt rund vier Jahren und vier Monaten seit der Sachentscheidung vom 13.02.2020 und rund drei Jahren und sieben Monaten nach Einreichung des ersten Kostenfestsetzungsantrags im November 2020, eine deutliche Sprache. Damit dauerte die Kostenfestsetzung mehr als eineinhalbmal solange wie das Verfassungsbeschwerdeverfahren selbst, das am 31.03.2017 eingeleitet worden war.

Angesichts der Konzentration dieser jeweils schon für sich gesehen ungewöhnlichen Umstände in dem vorliegenden Verfahren mag man sich die Frage stellen, ob ein solcher Umgang mit der – soweit ersichtlich – ersten erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen die Ratifikation eines internationalen Übereinkommens in der bundesdeutschen Geschichte, noch dazu verfasst von einem sich selbst vertretenden Rechtsanwalt, vielleicht kein Zufall ist. Könnte es sein, dass man von der Einreichung derartiger Beschwerden gerade im Kontext internationaler Übereinkommen dadurch von vornherein abschrecken möchte, dass potentiellen Beschwerdeführern, insbesondere in eigenem Namen agierenden Rechtsanwälten, deutlich signalisiert wird, dass sie selbst im Erfolgsfall nicht mit einer auch nur annähernd auskömmlichen Kostenerstattung für ihren erheblichen Arbeitsaufwand zu rechnen brauchen und dass ihnen selbst diese Kostenerstattung nur nach einem mühseligen mehrjährigen Verfahren gewährt werden wird? Rein durch wirtschaftliche Überlegungen getriebene (potentielle) Beschwerdeführer mögen sich hiervon abschrecken lassen. Diejenigen, für die die Verteidigung von Recht und Rechtsstaatlichkeit mehr ist als kommerzieller Selbstzweck, wird dies kaum je beeindrucken; ihnen wird es ganz im Gegenteil gerade zusätzliche Motivation sein.

Unabhängig davon liegt mit Blick auf das vorliegende Kostenfestsetzungsverfahren und dessen Handhabung durch das höchste deutsche Gericht, das sich gern selbst als „Bürgergericht“ darstellt, jedoch eine grundsätzliche Fragestellung offen auf der Hand: Genügt der Ablauf des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens, in dem letztlich ein Bürger in eigenem Namen die ihm verfassungsmäßig garantierten Grundrechte erfolgreich durchgesetzt hat, rechtsstaatlichen Mindestanforderungen? Ist dies die Art und Weise, wie sich die Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2024 den Schutz ihrer Grundrechte durch ein sog. „Bürgergericht“ vorzustellen haben?


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