Das „Blumenverbot“ des Kreises Düren auf den Soldatenfriedhöfen im Hürtgenwald vor dem Landesverfassungsgerichtshof NRW (Veröffentlicht am 30.04.2025)
Bekanntlich verbietet es der Kreis Düren unter Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) Besucherinnen und Besuchern der Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack seit dem Erlass einer neuen Friedhofsordnung („FO“) im September 2022, dort ihnen erteilte Ausnahmegenehmigung „Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung“ niederzulegen (vgl. § 4 Ziffer 4. a) FO); Verstöße gegen dieses Verbot sind Ordnungswidrigkeiten (vgl. § 7 FO).
Der von hier Anfang 2023 angestrengte Eilrechtsschutz gegen dieses sog. „Blumenverbot“ blieb vor dem VG Aachen und dem OVG NRW erfolglos.
Gegen § 4 Ziffer 4. a) FO und die Zurückweisung der entsprechenden Eilbeschwerde durch das OVG NRW wurde von hier im Juli 2023 Verfassungsbeschwerde (Auszug) beim Landesverfassungsgerichtshof NRW („VerfGH NRW“) eingereicht, nachfolgend flankiert durch einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der VerfGH NRW hat beides zurückgewiesen.
1. Die Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer
Es ist vielfach unbekannt, dass neben dem Grundgesetz als der Verfassung des Bundes auch die einzelnen Bundesländer über eigene Verfassungen, die sog. Landesverfassungen, verfügen, die ihren Bürgern insbesondere eigenständige Grundrechte einräumen – wenngleich z. T. auch nur durch Verweis auf die Regelungen des Grundgesetzes. Die Aufgabe, die Einhaltung dieser Landesverfassungen zu überwachen, obliegt einem Landesverfassungsgericht.
Wo sich ein Bürger durch einen Akt der öffentlichen Gewalt des jeweiligen Bundeslandes in einem Grundrecht aus der Landesverfassung verletzt sieht, kann er das Landesverfassungsgericht – unter den jeweiligen landesgesetzlichen Voraussetzungen – im Wege der Verfassungsbeschwerde anrufen.
2. Das „Blumenverbot“ vor dem Landesverfassungsgerichtshof NRW
Sowohl die das „Blumenverbot“ verhängende Friedhofsordnung, kommunale Satzung des Kreises Düren, als auch die diesbezüglichen Entscheidungen des VG Aachen und des OVG NRW sind Akte der öffentlichen Gewalt des Landes NRW und als solche vor dem VerfGH NRW beschwerdefähig (vgl. § 53 Abs. 1 VerfGHG NRW). Die vom Antragsteller bereits vor den vorgenannten Gerichten als verletzt gerügten Grundrechte aus Art. 4 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit), Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum), Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit), Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz), Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlung) sowie – im Hinblick auf die Entscheidung des OVG NRW – Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) macht sich der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen mittels Verweis (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Landesverfassung NRW) als unmittelbare geltende landesrechtliche Grundrechtsgewährleistungen zueigen.
Dementsprechend wurde vor dem VerfGH NRW mittels einer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung dieser Grundrechte durch § 4 Ziffer 4. a) FO sowie die Entscheidung des OVG NRW gerügt; zudem wurde beantragt, dem Kreis Düren durch Erlass einer einstweiligen Anordnung die Entfernung von „Zeichen der Trauerbekundung“ von den vorgenannten beiden Soldatenfriedhöfen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen.
a) Die Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Der VerfGH NRW hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit einstimmigem Beschluss vom 16.11.2023 durch die Richter Prof. Dauner-Lieb, Prof. Grzeszick und Dr. Nedden-Boeger abgelehnt.
Wegen der „meist weitreichenden Folgen einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung“ sei ein strenger Maßstab anzulegen, insbesondere hätten die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragenen Gründe grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, solange nicht durch ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens der Grundrechtsschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit endgültig vereitelt werde (a.a.O., S. 5).
Aus der Antragsbegründung gehe bereits nicht hervor, welche konkreten schweren Nachteile im Sinne von § 27 Abs. 1 VerfGHG NRW dem Antragsteller drohen, wenn er bis zu einer Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde darauf verwiesen wird, auf Grundlage von § 4 Abs. 5 FO die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 4 Abs. 4 a) FO beantragen zu müssen, um auf den Soldatenfriedhöfen in Hürtgen und Vossenack „Zeichen der Trauerbekundung“ ablegen zu dürfen. Hierfür genüge der Verweis auf die in der Hauptsache geltend gemachten Rechte aus der Landesverfassung schon deshalb nicht, weil nicht ohne weiteres anzunehmen sei, dass diese Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (a.a.O., S. 6).
Außerdem werde der vom Antragsteller für verfassungswidrig gehaltene Zustand zwar bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aufrechterhalten, aber nicht für die Zukunft „irreversibel verfestigt“. Vielmehr habe er in der Zwischenzeit „zumindest die Möglichkeit“, die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot zu beantragen (a.a.O., S. 7, erster Abs.). Dass er eine solche Ausnahme vergeblich beantragt hätte, lege er nicht dar; hiervon habe er offenbar abgesehen, „weil er auch den Erlaubnisvorbehalt für verfassungswidrig hält“. Dass ein solcher Antrag auf Zulassung einer Ausnahme bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde unzumutbar und von vornherein aussichtslos wäre, sei aber weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Damit stehe bereits nicht fest, ob dem Antragsteller überhaupt „für eine erhebliche Zeit“ die Ablage von „Zeichen der Trauerbekundung“ auf den beiden Friedhöfen untersagt wäre (a.a.O.).
Auch ergebe sich aus der Antragsbegründing nicht nachvollziehbar, dass es aus anderen Gründen „zum gemeinen Wohl dringend geboten“ wäre, die dortige Ablage von „Zeichen der Trauerbekundung“ einstweilen generell und vorbehaltlos zu gestatten.
Das Gericht erklärt (a.a.O., S. 7, zweiter Abs.):
„Der Antragsteller legt nicht dar, weshalb der von ihm als maßgebend angeführte, aus § 1 Abs. 1 GräbG zitierte Zweck des Gräbergesetzes, nämlich der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken sowie für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wachzuhalten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben, ungeachtet der Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 5 FO 2022 dringend und gerade dadurch zu gewährleisten wäre, auf den Kriegsgräberstätten in Hürtgen und Vossenack Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung an den Hochkreuzen, den Gedenksteinen oder dem Sarkophag in Vossenack generell, ohne vorherige Zulassung durch die Friedhofsverwaltung ablegen zu können. Inwiefern dies jedenfalls vor dem Hintergrund der derzeitigen weltpolitischen Geschehnisse und mit Blick auf den Volkstrauertag am 19. November 2023 anders zu beurteilen wäre, führt der Antragsteller ebenfalls nicht näher aus.“
b) Die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde
Mit einstimmigem Beschluss vom 20.02.2024 wies der VerfGH NRW durch die Richter Prof. Dauner-Lieb, Prof. Grzeszick und Dr. Nedden-Boeger auch die Verfassungsbeschwerde zurück. Diese sei „überwiegend unzulässig und im Übrigen jedenfalls offensichtlich unbegründet“ (a.a.O., S. 4, erster Abs.).
Soweit sie sich unmittelbar gegen § 4 Abs. 4 a) FO richte, sei sie mangels Erschöpfung des Rechtsweges unzulässig. So habe der Beschwerdeführer vorliegend sowohl ein Normenkontrollverfahren vor dem OVG NRW als auch eine vorbeugende Unterlassungsklage erheben können (a.a.O., S. 4). Eine solche Erschöpfung des Rechtswegs sei vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, denn die hierfür nötige allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde bzw. das Drohen eines schweren und unabwendbaren Nachteils bei Verweisung des Beschwerdeführers auf den Rechtsweg lägen nicht vor (a.a.O., S. 5/6).
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des OVG NRW richte, sei sie „teilweise bereits unzulässig und im Übrigen jedenfalls offensichtlich unbegründet“ (a.a.O., S. 6, zweiter Abs.). Hinsichtlich der gerügten Grundrechtsverletzungen setze sie sich „nicht hinreichend mit der Begründung des angegriffenen Eilbeschwerdebeschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2023 auseinander“ und genüge daher bereits nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen (a.a.O., S. 6/7). Die Verfassungsbeschwerde gehe auf die Ausführungen des OVG NRW nicht hinreichend ein, insbesondere ergebe sich hieraus nicht, weshalb das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung unzumutbar sein soll und deshalb die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes erfüllt wären (a.a.O., S. 8). Vielmehr stehe dem Beschwerdeführer „bereits jetzt“ die Möglichkeit offen, „das von ihm begehrte Ablegen von Zeichen der Trauerbekundung auf den Kriegsgräberstätten in Hürtgen und Vossenack über die Beantragung einer Ausnahmebewilligung zu erreichen.“
Auch soweit er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rüge, sei die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Darlegung unzulässig. So habe das OVG NRW vor allem ausgeführt, weshalb die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen, nicht unerheblich sei. Auf das ausführliche Vorbringen des Beschwerdeführers zur Rechtswidrigkeit des § 4 Abs. 4 a) FO sei es daher nicht mehr angekommen (a.a.O., S. 8-10).
Die Rüge einer Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz sei „jedenfalls offensichtlich unbegründet“ (a.a.O., S. 11). Dem Beschwerdeführer drohe
„keine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, wenn er darauf verwiesen wird, auf Grundlage von § 4 Abs. 5 FO zumindest einstweilen die Zulassung einer Ausnahme von dem Verbot des § 4 Abs. 4 a) FO zu beantragen, um auf den Kriegsgräberstätten in Hürtgen und Vossenack Zeichen der Trauerbekundung ablegen zu dürfen.“ (a.a.O., S. 11/12).
Der Beschwerdeführer lege schon nicht dar, eine solche Ausnahme erfolglos beantragt zu haben, hiervon habe er „womöglich (…) abgesehen, weil er auch den Genehmigungsvorbehalt in § 4 Abs. 5 FO für rechtswidrig hält“. Die Ansicht des OVG NRW, dieser Umstand bewirke nicht die Unzumutbarkeit einer solchen Antragstellung, führe schon deshalb nicht zu einer Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz,
„weil die Verfassungsbeschwerde weder nachvollziehbar darlegt noch sonst ersichtlich ist, weshalb es bis zu einer Hauptsacheentscheidung unzumutbar und von vornherein aussichtslos sein soll, eine solche Ausnahmegenehmigung zu beantragen, selbst wenn bereits allein das Bestehen des Genehmigungsvorbehalts Grundrechte des Beschwerdeführers – wie er pauschal geltend macht – berühren sollte.“ (a.a.O., S. 12)
Damit stehe schon nicht fest, dass die vom Beschwerdeführer
„geltend gemachten schweren Grundrechtseingriffe – ungeachtet der Frage ihrer tatsächlichen Intensität über Randbereiche hinaus – überhaupt eintreten, ihm also für einen erheblichen Zeitraum die Ablage von Zeichen der Trauerbekundung auf den in Rede stehenden Kriegsgräberstätten nicht möglich wäre.“ (a.a.O.)
3. Bewertung
Die Entscheidungen des VerfGH NRW überzeugen nicht. Sie reihen sich nahtlos ein in die besorgniserregende jüngere Praxis einiger Verwaltungs- und Verfassungsgerichte, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, deren Einhaltung sie zu überwachen haben, auch fragwürdigsten Maßnahmen der Exekutive preiszugeben.
a) Das Landesverfassungsgericht NRW
Zunächst lohnt sich – wie stets – ein genauerer Blick auf das Gericht und die Richter, die die in Rede stehenden Entscheidungen gefällt haben.
Dabei fällt auf, dass einige Landesverfassungsgerichte bereits äußerlich eher wie ein Annex des jeweiligen Oberverwaltungsgerichts („OVG“) als dem höchsten Verwaltungsgericht des einzelnen Bundeslandes anmuten. Sie sind am gleichen Ort und häufig in enger räumlicher Nähe desselben ansässig, vielfach gibt es personelle Überschneidungen. Als Beispiel mag der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz („VerfGH RP“) dienen, der im gleichen Gebäude wie das OVG RP sitzt und dessen Präsident Prof. Lars Brocker in Personalunion auch Präsident des VerfGH RP ist. Solche „optischen“ Fragen, die auch solche der richterlichen Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit sind, indizieren den Stellenwert, der dem Landesverfassungsgericht beigemessen wird.
Beim VerfGH NRW sind zwar die personellen Überschneidungen nicht ähnlich stark ausgeprägt, allerdings befindet sich auch dessen Sitz in unmittelbarer Nähe des OVG NRW, quasi „auf der anderen Straßenseite“. Personell fällt auf, dass es sich nur bei einem der drei mit dem vorliegenden Fall befassten Richter – Herrn Dr. Nedden-Boeger – überhaupt um einen hauptamtlichen Richter handelt. Er ist jedoch im Zivilrecht tätig und befasst sich im XII. Zivilsenat des BGH insbesondere mit Familienrecht und gewerblichem Mietrecht, während es vorliegend um öffentliches Recht und damit um ein völlig anderes Rechtsgebiet geht. Die beiden anderen Richter sind seit jeher – Prof. Prof. Grzeszick – bzw. seit mehreren Jahrzehnten – Prof. Dauner-Lieb – hauptamtliche Universitätsprofessoren, davon nur ersterer im öffentlichen Recht. Damit fehlt zwei von drei der mit dem vorliegenden Verfahren befassten Richter bereits der einschlägige fachspezifische Hintergrund. Der eine Richter, der ihn hat, war vor seiner Tätigkeit am VerfGH NRW, die er seit Juni 2021 inne hat, noch nie zuvor als Richter tätig.
Ein solcher Spruchkörper wirft von vornherein gewisse Fragen auf.
Nicht umsonst gibt es separate Gerichtszweige für die unterschiedlichen Rechtsgebiete des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts inklusive des Strafrechts und innerhalb derselben wiederum spezialisierte Spruchkörper für einzelne Rechtsgebiete. All dies dient der fachlichen Spezialisierung und damit der Gewährleistung der Qualität der gerichtlichen Entscheidungen. Die Aufhebung dieser Spezialisierung gerade auf der allen Fachgerichten übergeordneten Ebene der Verfassungsgerichte, wo dann – wie vorliegend – u. a. ein auf Familienrecht und gewerbliches Mietrecht spezialisierter Richter neben einer generalistisch-zivilrechtlich orientierten Professorin über die Verfassungsmäßigkeit einer kommunalen Satzung und einer diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidungen befindet, muss der Qualität der entsprechenden Entscheidung nicht unbedingt dienlich sein.
b) Die angebliche Verletzung der sog. „gesetzlichen Begründungsanforderungen“
Auch inhaltlich überzeugen die beiden Beschlüsse des VerfGH NRW nicht.
Entsprechend einer inzwischen verbreiteten Praxis scheitern vielen Verfassungsbeschwerden wegen einer angeblichen Verletzung der sog. „gesetzlichen Begründungsanforderungen“. Damit wird die Verantwortung für die Entscheidung und ihren Inhalt primär dem Beschwerdeführer (und seinem Anwalt) zugewiesen, denn er hat den geltend gemachten Verfassungsverstoß nicht so ausführlich erläutert („substantiiert“), wie er dies nach Ansicht des Gerichts hätte tun müssen.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass gesetzliche Anforderungen an den genauen Inhalt und Umfang der Darlegung eines Verfassungsverstoßes bereits nicht bestehen. Vielmehr wird – sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene – gesetzlich regelmäßig nur generalklauselartig bestimmt, dass die Verfassungsbeschwerde zu begründen ist und darin das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung der Stelle, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen sind (vgl. für den vorliegenden Fall die §§ 18 Abs. 1 S. 2, 55 Abs. 1 und 4 VerfGHG NRW; auf Bundesebene §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG). Alle hierüber hinausgehenden Anforderungen, insbesondere an den Umfang der im Einzelfall zu leistenden Darlegungen, stammen von dem jeweiligen Verfassungsgericht und können von ihm von Fall unterschiedlich gehandhabt werden. Insofern handelt es sich mitnichten um „gesetzliche Begründungsanforderungen“, sondern um eine gerichtliche Erweiterung derselben, über die sich das Gericht einen Freibrief dafür verschafft, sich mit einer Verfassungsbeschwerde inhaltlich erst gar nicht auseinandersetzen zu müssen. Denn sind die entsprechenden Darlegungen nach Ansicht des Gerichts „nicht ausreichend“, macht dies die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, und alle inhaltlichen Fragen müssen nicht mehr erörtert werden. Hinzu kommt, dass – mangels (obligatorischer) Veröffentlichung der entsprechenden Schriftsätze – für keinen Außenstehenden überprüfbar ist, was in der Verfassungsbeschwerde überhaupt und wie detailliert vorgetragen wurde. So kann sich ein Verfassungsgericht in einfacher Manier jeder Verfassungsbeschwerde unter Verweis auf eine angeblich unzureichende Begründung entledigen.
Natürlich ist die Bedeutung der sog. „gesetzlichen Begründungsanforderungen“ hier bekannt, weshalb der Begründung der gerügten Verfassungsverstöße bei allen hiesigen Verfassungsbeschwerden regelmäßig besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Allerdings zeigt der vorliegende Fall einmal mehr exemplarisch, dass es hierauf nicht ankommt, denn jede noch so detaillierte und ausführlich begründete Verfassungsbeschwerde kann in den Augen des Gerichts dennoch „unsubstantiiert“ sein, ohne dass es dies näher begründen müsste und dies für Außenstehende überprüfbar wäre. Der schriftsätzliche Vortrag allein im Verfassungsbeschwerdeverfahren umfasst vorliegend 77 Seiten, zudem wurde der vorinstanzliche schriftsätzliche Vortrag mit weiteren 120 Seiten zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht. Auch dieser insgesamt fast 200 Seiten umfassende Vortrag, in dem etliche der dem Gericht zufolge angeblich fehlenden Ausführungen sogar wiederholt enthalten sind, genügt den „gesetzlichen Begründungsanforderungen“ nach Ansicht des VerfGH NRW nicht.
Die gerichtlich bestimmten „Substantiierungsanforderungen“ sind eine inhärente „Sollbruchstelle“ einer jeden Verfassungsbeschwerde, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit an sich bereits deshalb überaus fragwürdig scheint, weil hierdurch die in Bezug genommenen „gesetzlichen Begründungsanforderungen“ zu einem ebenso willkürlich anwendbaren wie unüberwindlichen Hindernis übersteigert werden, die das Gesetz eben gerade nicht vorsieht.
c) Die Zurückweisung der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen
Bei den gerügten Grundrechtsverletzungen bleibt eine Auseinandersetzung mit der eingewandten Wesentlichkeitslehre des BVerfG und den sog. „Schranken-Schranken“, die jeglicher Grundrechtseingriff für seine Rechtmäßigkeit zu beachten hat, insbesondere den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Bestimmtheit, bleibt in Gänze außen vor. Dafür wird in fast gebetsmühlenartiger Weise betont, der Beschwerdeführer habe ja einen Antrag auf „ausnahmsweise Zulassung“ (!) der Ablage von Zeichen der Trauerbekundung auf den Soldatenfriedhöfen stellen können, dies zumindest bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde. Dass der Schutz der Grundrechte nicht unter Antragsvorbehalt steht und deshalb schon das Antragserfordernis als Grundrechtsverletzung gerügt wurde, störte das Gericht hierbei nicht. Auch wenn der Beschwerdeführer einen solchen Antrag für verfassungswidrig halte, sei er „nicht unzumutbar“ (!).
Ebenso eigenartig ist der Vorwurf der angeblich fehlenden Rechtswegerschöpfung, insbesondere des unterlassenen (konkreten) Normenkontrollverfahrens. Das Gericht hat in jedem Verfahren, das einen Grundrechtseingriff zum Gegenstand hat, die Verpflichtung, diesen und die ihm zugrundeliegende Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, wozu insbesondere die Einhaltung der vorgenannten „Schranken-Schranken“ gehört. Dies ist tägliche Praxis der Verwaltungsgerichte. Beispielsweise hat das VG Aachen während der „Corona-Pandemie“ in drei Fällen Eilanträgen gegen ein durch Stadt und Kreis Düren verhängtes Verweilverbot stattgegeben, weil es die entsprechenden Allgemeinverfügungen – in drei aufeinander folgenden Fassungen! – als voraussichtlich rechtswidrig ansah. Da sich die vorliegende Verfassungsbeschwerde neben § 4 Ziffer 4. a) FO auch gegen die Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes durch das VG OVG NRW richtete, hätte der VerfGH NRW ohne weiteres jedenfalls diese Entscheidung aufheben können und müssen.
Im Ergebnis enthalten sich die Entscheidungen des VerfGH NRW aus formalen Gründen einer inhaltlichen Befassung mit den aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Problemen und bekräftigen nur pauschal die zweifelhaften und als verfassungswidrig gerügten Thesen des OVG NRW, mit einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung hat dies wenig zu tun.
Die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde durch das VerfGH NRW unterliegt ihrerseits der Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, diese wurde fristgerecht eingelegt.
(Titelfoto: Soldatenfriedhof Vossenack, August 2022)
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