Patentrecht: Richter am BVerfG Prof. Huber zur Situation beim Europäischen Patentamt (Veröffentlicht am 11.03.2021)

Bekanntlich sind derzeit beim BVerfG mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Handlungen des Europäischen Patentamts anhängig, in denen u. a. eine Verletzung der Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) gerügt wird (vgl. z. B. 2 BvR 2480/10, 2 BvR 421/13, 2 BvR 786/15, 2 BvR 756/16 und 2 BvR 561/18).

In der aktuellen Auflage eines der führenden deutschen Kommentare zum Grundgesetz äußert sich der Richter am BVerfG Prof. Peter Huber, der als Berichterstatter für die vorstehend genannten Verfassungsbeschwerdeverfahren zuständig ist, im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG wie folgt zur Situation beim Europäischen Patentamt (von Mangoldt/Klein/Starck/Huber, Grundgesetz, 7. Aufl. (2018), Art. 19 GG, Rn. 540 ff., die Fußnoten wurden entfernt):

„Vor diesem Hintergrund führt auch die zunehmende Aushöhlung des Suspensiveffekts durch die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts (…) nicht zu einem Konflikt mit dem Geltungsanspruch der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4, auch wenn mit ihr dem Trend zu einer Reduzierung des deutschen Rechtsschutzniveaus Vorschub geleistet wird.

Die gleichen Grundsätze gelten für das Europäische Patentamt in München, das auf der Grundlage des am 5.10.1973 abgeschlossenen Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ) errichtet wurde und die Aufgabe hat, als zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 in einem einheitlichen Erteilungsverfahren nach einheitlichen Voraussetzungen ein ‚europäisches Bündelpatent‘ zu erteilen. Seine Entscheidungen können mit einer Beschwerde angefochten werden (Art. 106 EPÜ), über die mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Beschwerdekammern entscheiden (Art. 23 EPÜ). Ihr Verfahren ist justizförmig ausgestaltet, ihre Tätigkeit materiell rechtsprechender Natur.

Die Vereinbarkeit dieser Rechtsbehelfsmöglichkeit mit dem vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard an wirkungsvollem Rechtsschutz (Art. 24 Abs. 1, 79 Abs. 3. 19 Abs. 2 und 4) scheitert auch nicht daran, dass es sich bei den Beschwerdekammern nicht um – vom Europäischen Patentamt institutionell getrennte – Gerichte handelt (Art. 15 EPÜ). Denn zum einen konnten sich die Forderungen nach struktureller Kongruenz zwischen der deutschen Rechtsordnung und zwischenstaatlichen Einrichtungen im Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 nicht durchsetzen, zum anderen wird das von Art. 19 Abs. 2 geforderte Mindestmaß an wirkungsvollem Rechtsschutz, das auch bei einer Supranationalisierung von Rechtsprechungsaufgaben nicht unterschritten werden darf, weniger durch die institutionelle Trennung von zweiter und dritter Gewalt markiert, als durch die Möglichkeit, jede Rechtsverletzung durch die Anrufung einer unabhängigen Stelle in einem gerichtsförmigen Verfahren überprüfen lassen zu können. Dieses Minimum ist im Rahmen des EPÜ gewährleistet.“

Die Bedeutung dieser Ausführungen im Hinblick auf die Erfolgsaussichten der besagten Verfassungsbeschwerdeverfahren bleibt der Einschätzung des Lesers überlassen.


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